ERFAHRUNGSBERICHT IM RUHESTAND
Rentnerdasein – geplant, gelebt, genossen!
Mein Name ist Martin Lude und ich bin nun fast zweieinhalb Jahre zuhause. Genauer gesagt befinde ich mich noch in der passiven Phase einer "Altersteilzeitregelung". Ich war gerade noch rechtzeitig auf einen der wahrscheinlich letzten Züge mit diesem Angebot aufgesprungen. So kam ich mit 59 Jahren in den Genuss noch einmal ganz andere Prioritäten im Leben setzen zu dürfen. Ich sage bewusst Genuss, weil ich die beiden letzten Jahre genau so empfunden habe.
Den Beginn meines Vorruhestandes überließ ich nicht dem Zufall. Schließlich hatte ich ausreichend Zeit mich geistig und moralisch darauf vorzubereiten. Mit der ganz konkreten Planung begann ich ein Jahr vor dem beruflichen Ausstieg. Zu planen und Strategien zu entwickeln gehörte schließlich jahrzehntelang mit zu meinen Aufgaben in der Industrie. Vielleicht habe ich auch deshalb versucht, den nun anstehenden Ruhestand nach derselben Methode zu organisieren. Meine Frau und meine Kinder lächelten jedenfalls über meine eigens dafür kreierten Checklisten. Die groben Überschriften lauteten so:
- Körper, Geist, Gesundheit
- Soziales Engagement
- Anstehende Arbeiten am/im Haus
- Angestaute Aufgaben eines privaten Haushalts
Natürlich lässt sich nicht alles bis ins letzte Detail planen. Schließlich wollte ich mir für die neu gewonnene "große Freiheit" nicht gleich wieder selbst Fesseln anlegen. Dennoch hatte ich mir vorgenommen ein Zitat in meinem "Ruhestand" ganz besonders zu beherzigen:
Fange nie an aufzuhören, höre nie auf anzufangen (Marcus Tullius Cicero)
Genug philosophiert, was konkret habe ich geplant, bereits gemacht und in der Zukunft noch vor?
Die wichtigste und allererste Maßnahme zu "Körper, Geist, Gesundheit" war eine 15tägige "Berufs-Abstandswanderung". Unmittelbar nach meinem letzten Arbeitstag ging es los. Dass alleine Wandern so spannend sein könnte, hätte ich mir in den kühnsten Träumen nicht vorgestellt. Dabei marschierte ich nicht auf dem populären Jakobsweg, sondern einfach direkt von der eigenen Haustür weg: Knapp 300 Kilometer in 15 Tagen. Von der Schwäbischen Alb, über Oberschwaben und den Bodensee in das Gebirge. Ich entdeckte die Schönheit meiner Heimat und hatte amüsante Begegnungen mit Menschen. Und das Allerwichtigste: Ich bekam den gewünschten Abstand zum beruflichen Alltag. Auch mit der Planung dieser Wanderung begann ich knapp zwölf Monate vor Durchführung. Beispielsweise berechnete ich die Tagesrouten und reservierte in Landgasthöfen die Zimmer für die Übernachtungen. Das Ganze hat mir so gut gefallen, ist mir so gut bekommen, dass ich darüber ein Buch geschrieben habe (siehe Rubrik "Der Übergang/Wandern in den Ruhestand".)
Wandern als Hobby zählte auch schon vor meinem "großen Marsch" in der Freizeit zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Seit ich zu Hause bin, bin ich noch öfters unterwegs. Die Allgäuer Alpen sind mein bevorzugtes Wandergebiet. Als mittlerweile Ü 60 möchte ich Ihnen aber auch etwas Gymnastik und ein spezielles Training zur Stärkung der Rückenmuskulatur ans Herz legen. Beides bin ich angegangen und ist mir sehr gut bekommen. Sprechen Sie einfach mal mit Ihrem Arzt und Ihrer Krankenkasse. Zur körperlichen Fitness zählt zweifellos auch eine gute, bewusste Ernährung. An diesem Thema bin ich allerdings noch etwas hängen geblieben. Zwar bin ich mit der Küche meiner Frau durchaus gut bedient, aber eigentlich wollte ich mich da noch ein bisschen mehr einbringen. Jedenfalls wartet meine Frau noch heute auf meine eigenen Kochkünste. Was nicht ist, kann ja noch werden.
Zu geistigem und ehrenamtlichem Engagement weiß ich da schon eher zu berichten: Noch während meiner Berufszeit machte ich in unserer Kleinstadt an den Wochenenden eine Ausbildung für ehrenamtliches Engagement. Dabei bekam ich einen guten Einblick in die sozialen Strukturen unserer Stadt. Am Anfang meines Ruhestandes nahm ich dann auch gleich ein Projekt in Angriff. Geplant war eine Art "Kinder-Notbetreuungs-Netzwerk". Leider gestaltete sich die Zusammenarbeit mit der mir zugeordneten sozialen Einrichtung der Stadt als wenig konstruktiv. Ich stellte meine Aktivitäten ein und orientierte mich neu. Wieder bei der Stadt. Eine mehrmonatige Ausbildung zum Stadtführer wurde in unserer Tageszeitung angeboten. Ich meldete mich an und musste von Oktober 2013 bis Februar 2014 nochmals richtig büffeln. Mit Erfolg – jedenfalls bestand ich den theoretischen und praktischen Teil der Prüfung. Seit Mai 2014 bin ich nun für die Stadt aktiv im Einsatz. Ich bin geistig richtig gefordert. Und vor allem: Es macht riesig Spaß und ich komme mit interessanten Menschen in Kontakt. Die Vorbereitungen vor der Prüfung und den nun anstehenden Führungen waren, beziehungsweise sind so groß, dass ich meine zwischenzeitliche Teilnahme an einem Kurs der Volkshochschule "Englisch-Konversation" einstellte. Auch meine Beteiligung dort war sehr befruchtend.
Mit all den bisher beschriebenen Aktivitäten war für das eigene Heim noch nichts getan. Im Laufe der Jahre hatte sich jedoch etliches am und im Haus angestaut. Aus zeitlichen Gründen konnte ich die Arbeiten während meiner Berufszeit nicht bewerkstelligen. Im Laufe der letzten zwei Jahre wurde dies nun jedoch alles angepackt: Küchen- und Badrenovierung, neue Beleuchtungssysteme, Entrümpelungen, Reinigung von Fließen- und Teppichböden, Sanierung Pergola, Garten und Gartenmöbel in Ordnung bringen und vieles mehr. Die Arbeiten – auch in Zusammenarbeit mit Handwerkern – waren nicht stressfrei. Dennoch genoss ich es, dies alles in einer gewissen Gelassenheit und frei vom beruflichen Alltag zu organisieren. Zugegeben: auch verbunden mit größeren Investitionen.
Angestaut hatten sich nicht nur praktische Arbeiten, sondern auch administrative Aufgaben und wirtschaftliche Aspekte rund um den privaten Haushalt: veraltete und unvollständige Ablagen, Steuererklärungen, alte, überteuerte Versicherungsabschlüsse, alte elektrische Haushaltsgeräte mit zu hohem Energieverbrauch. All dies brachte ich über Wochen hinweg in Ordnung und lässt mich heute wieder ruhiger schlafen.
Damit kein falscher Eindruck entsteht: Selbstverständlich habe ich nicht nur gearbeitet, sondern vor allem das Leben genossen. Im Vergleich zu 60-Stunden-Arbeitswochen in meinem aktiven Berufsleben hatte ich in den letzten zwei Jahren geradezu paradiesische Verhältnisse. Ich konnte mit meiner Frau zusammen mehr Reisen, insbesondere Städtereisen, aber auch eine größere Fernreise standen auf dem Programm. Und ich konnte mich mehr um meine Familie kümmern. Mit vielen schönen Momenten, aber auch mit sorgevollen Phasen. Dabei erinnerte ich mich an den Satz eines Kunden, der in einem anderen Kontext schon vor mehr als dreißig Jahren zu mir sagte: "Der liebe Gott sorgt schon dafür, dass es niemand zu wohl wird"! Wie wahr: In den letzten zwei Jahren musste ich mehrmals bei meiner mittlerweile 90jährigen Mutter einspringen. Und auch unsere 2jährige Enkeltochter bereitete uns mit ihrer Krankheit etliche sorgevolle Stunden und Tage. Gut, dass ich jeweils einen kleinen Beitrag zur Unterstützung leisten konnte. Und ganz ehrlich: Als berufstätiger Mensch wäre es in dieser Form nicht möglich gewesen.
Insgesamt kann ich nach zwei Jahren "Vorruhestand" jedoch ein sehr positives Fazit ziehen; es hat sich jedoch in jedem Fall bewährt, dass ich mich auf diese Zeit gut vorbereitet habe. Meinen "kleinen Aufsatz" möchte ich mit einer amüsanten Beobachtung während meiner 15tägigen Wanderschaft (Berufs-Abstandswanderung) abschließen. Es war der neunte Wandertag, an einem wunderschönen Sommerabend. Ich besuchte in der historischen Altstadt von Tettnang eine reizende kleine Gartenwirtschaft, um den Tag vollends ausklingen zu lassen:
In unmittelbarer Nähe von mir stand ein Tisch, an dem drei Gäste Platz genommen hatten. Eine Art akademischer Männer-Stammtisch. Die Unterhaltung verlief ruhig und diszipliniert, die Themen waren anspruchsvoll, die Rhetorik ausgefeilt. Also nicht unbedingt packend oder das, was ich mir nach einem anstrengenden Wandertag gewünscht hatte. Plötzlich wurde ich jedoch hellwach. Einer der drei Herren kam auf seine am nächsten Tag anstehende Entlassung aus dem Schuldienst zu sprechen. Er war Gymnasiallehrer, was ich schon zuvor herausgehört hatte. Im Gegensatz zu mir hatte er jeden Tag seiner beruflich möglichen "Schaffensjahre" ausgeschöpft. Doch dies scheint ihm nicht ausgereicht zu haben. Er war Fünfundsechzig und hätte gerne weitergemacht. Am nächsten Tag stand die Entgegennahme der Entlassungsurkunde an. Er kommentierte dies so traurig, als müsse er zu seiner eigenen Beerdigung. Das stimmte mich schon ein wenig nachdenklich. Schließlich hatte ich mich bei aller Leidenschaft für meinen Beruf auf die neu gewonnene Zeit zu meiner eigenen Verfügung riesig gefreut. Auf der anderen Seite konnte ich den treuen Staatsdiener auch nicht ganz verstehen und befürchtete fast, dass er ohne konkrete und motivierte Planung für seinen letzten Lebensabschnitt in ein großes Loch fallen könnte.
Ich möchte die große berufliche Leidenschaft des Lehrers und die damit sicherlich verbundene sehr erfolgreiche Arbeit in keinster Weise in Frage stellen. Dennoch wünsche ich Ihnen, dass Sie sich mit einer besseren Planung und gut motiviert auf einen neuen Lebensabschnitt freuen.